ALL THAT BREATHES
Wer lange genug in den grauen, monotonen Himmel über Neu-Delhi starrt, wird irgendwann einen Vogel vom Himmel fallen sehen. In der stark verschmutzten, trüben und giftigen Luft kommt es häufig vor, dass größere Vögel, insbesondere Greifvögel, mit Gebäuden kollidieren oder sich in Drähten verfangen. Nadeem und Saud, aufgewachsen in einem muslimischen Arbeiterviertel, waren schon als Jungen vom Schwarzmilan fasziniert.
Als Kinder lagen sie auf ihrer Terrasse und sahen zu, wie die Ältesten ihrer Familie rohes Fleisch in den Himmel warfen. Sie beobachteten, wie plötzlich Hunderte Vögel auftauchten und mit großer Geschicklichkeit durch die Luft manövrierten, um das Fleisch zu fangen. Das “Fleischwerfen” ist nach wie vor eine beliebte Aktivität in den muslimischen Gebieten Delhis. Muslime glauben, dass das Füttern von Raubvögeln die Sünden des Fleischwerfers reinwäscht.
Als zum ersten Mal ein Schwarzmilan vor den Brüdern zu Boden fiel, brachten sie ihn in ein Vogelkrankenhaus. Das Krankenhaus weigerte sich jedoch, ihn zu behandeln – weil es sich um einen “nicht-vegetarischen” Vogel handelte. Die beiden Teenager Nadeem und Saud machten damals eine Ausbildung zum professionellen Bodybuilder. Sie nutzten ihr informelles Wissen über Muskeln und Sehnen, um sich selbst um den Vogel zu kümmern. Seitdem haben sie in ihrem winzigen Garagenkeller mehr als 20.000 Vögel operiert und rehabilitiert und träumen davon, eines Tages ein richtiges Wildtierkrankenhaus zu bauen.
Heute sind die Brüder einzigartige Philosophen des Urbanen. Im Jahr 2017 war die Luft in Delhi zwölfmal schlechter als in Peking, der am zweitstärksten verschmutzten Stadt der Welt. Eine solch extreme Umwelt führt zu beispiellosen Veränderungen im nichtmenschlichen Leben. Die Brüder sind Experten für diese bemerkenswerten ökologischen Veränderungen.
Indien erlebte in letzter Zeit zunehmend soziale Unruhen. Die Dinge erreichten einen Höhepunkt, als die Regierung ein Staatsbürgerschaftsgesetz einführte, das nach Ansicht einiger die 182 Millionen muslimischen Bürger des Landes diskriminieren könnte. Weitverbreitete Proteste gegen dieses Gesetz erschütterten das Land. Nach zwei Monaten unverminderter Straßenproteste nahmen die Dinge eine schockierende Wendung. Der Norden Delhis wurde von tödlicher Gewalt heimgesucht. Der Mob tötete mehr als 50 Menschen, und Hunderte von Häusern wurden in Brand gesetzt. Da die Gewalt auch ihre Nachbarschaft zu treffen drohte, verbrachten die Brüder viele Nächte damit, vor ihrem Haus zu patrouillieren, aus Angst vor dem herannahenden Mob.
Parallel zu diesem Gewaltausbruch kam es zu einem alarmierenden Anstieg mysteriöser Verletzungen bei Milanen. Delhi hat die höchste Dichte dieser Raubvögel weltweit – eine Zunahme, die erstaunlicherweise mit der steigenden Umweltverschmutzung der Stadt einhergeht. Dennoch kommen jeden Tag mehr verletzte Milane bei den Brüdern an, mit unerklärlichen Fällen von Blindheit und neuralen Deformierungen. Da die Finanzierung ihres Krankenhauses endlich gesichert ist und Nadeem die Möglichkeit einer weiteren Ausbildung an akademischen Einrichtungen in den USA winkt, versuchen die beiden Brüder, die Zukunft ihres Wildlife Rescue zu sichern. Gleichzeitig ringen sie mit der Frage ringen, wie sie weiterhin dem Druck des ökologischen und politischen Klimas standhalten können, das sie zunehmend bedrängt.
If you stare long enough at the grey monotone skies in certain parts of North Delhi, at some point you’ll see a bird fall out of the sky. The sheer opacity of New Delhi’s toxic air ensures that bigger birds, especially raptors, regularly collide into buildings or get entangled in wires. Nadeem and Saud grew up in a working-class Muslim neighborhood with narrow, dingy lanes. The act of looking up – by their own admission – provided a kind of release into an open, liberating expanse. At a very early age, they fell in love with things that flew. They fell in love, in particular, with the black kite.
As children, they lay on their terrace, gazing up as the elders in their family tossed raw meat skyward. They watched as hundreds of kites appeared and maneuvered through the air with great agility to catch the meat. ‘Meat tossing’ continues to be a popular activity in Muslim areas of Delhi. Muslims believe that the act of feeding birds-of-prey washes away the sins of the meat-tosser.
When a black kite first fell to the ground in front of them, the brothers took it to a bird hospital. The hospital, however, refused to treat it – because it was a “non-vegetarian” bird. At the time, the teenage Nadeem and Saud were training to be professional bodybuilders. They used their informal knowledge of muscles and tendons to care for the bird on their own. Since then, they have operated on and rehabilitated more than 20,000 birds in their tiny garage-basement, while dreaming of someday building a proper wildlife hospital.
Today the brothers are unique philosophers of the urban. In 2017, Delhi’s air was 12 times worse than the second most polluted city in the world, Beijing. Such an extreme environment prompts unprecedented changes in nonhuman life. The brothers are expert witnesses to these remarkable ecological changes.
India has recently witnessed increasing social unrest. Things reached a crescendo when the government introduced a citizenship bill that, some argue, potentially discriminates against the 182 million Muslim citizens in the country. Widespread protests against this bill rocked the country. After two months of unabating street protests, things took a shocking turn. North Delhi was enveloped in deadly violence. Mobs killed more than 50 people and hundreds of houses were set on fire. With the violence threatening to hit their neighborhood as well, the brothers spent many nights patrolling the front of their house in fear of oncoming mobs.
Alongside this violence was the alarming rise in mysterious kite injuries. Delhi has the highest density of these raptors in the world – a growth that, stunningly, corresponds with the city’s rising pollution levels. Yet, more injured kites arrive at the brothers’ each day with inexplicable cases of blindness and neural deformities. With funding for their hospital finally coming through, and opportunities for further training from academic institutions in the U.S. beckoning to Nadeem, the two brothers look to secure the future of their Wildlife Rescue, while wrestling with how they will continue to face the pressures of the environmental and political climates that increasingly assail them.