17. Indisches Filmfestival Stuttgart (IFFS) vom 15. bis 19. Juli 2020 ONLINE Fünftägiger Film-Tripp nach Indien für 4.99 Euro
Die Online-Ausgabe des 17. Indischen Filmfestival Stuttgart (IFFS) wagt einen tiefen Blick in die Psyche einer zerrissenen Gesellschaft. Europas größtes indisches Filmfestival lädt vom 15. bis 19. Juli 2020 unter https://iffo.indisches-festival.de oder die Homepage www.indisches-filmfestival.de zu einem Online- Besuch ins neue indische Kino ein. Für 4.99 Euro können mit dem Festivalpass fünf Tage lang zuhause aktuelle Spiel-, Kurz- und Dokumentarfilme angeschaut werden. Der Vorverkauf des preisgünstigen Festivalpasses läuft bereits seit Anfang Juli über die Festival-Homepage. Bereits im März entschied sich das veranstaltende Filmbüro Baden-Württemberg dazu, das Kultur-Event wegen der Corona-Pandemie ganz ins Internet zu verlagern.
Rennen um den begehrten Filmpreis ‘German Star of India’
Auch das Online-Festival startet mit einem Eröffnungsfilm: Am Mittwoch, 15. Juli, wird von 12.00 bis 23.59 Uhr für die Inhaber des Festivalpasses zunächst der unterhaltsame Spielfilm ‘Eeb Allay Ooo!’ von Prateek Vats freigeschaltet. In der Satire sind die heiligen Affen los, machen alles kaputt, auch in einem frommen Ministerium. Ab Donnerstag, 16. Juli, 0.01 Uhr, bis einschließlich Sonntag, 19. Juli, 23.59 Uhr, kann dann das gesamte Festivalprogramm angeschaut werden. Spielfilme werden an bestimmten Tagen teils mit Geoblocking für Deutschland freigeschaltet. Die Homepage verrät stets das Tagesprogramm. Die Bekanntgabe der Gewinnerfilme ist am Samstag, 18. Juli, 20 Uhr, geplant.
Ins Rennen um den begehrten Filmpreis ‘German Star of India’ gehen in diesem Jahr das bildgewaltige und mehrfach ausgezeichnete Drama ‘Jallikattu – Bull Fight’ von Lijo Jose Pellissery (Streaming voraussichtlich Donnerstag von 0.00 Uhr bis Sonntag, 23.59 Uhr) über die bestialische Gier des Menschen nach Genuss und die herrliche Satire ‘Eeb Allay Ooo!’ von Prateek Vats (Streaming vorgesehen von Mittwoch 12 Uhr bis Donnerstag, 23.59 Uhr sowie am Sonntag 12 bis 16 Uhr limitiert für 300 User), in der professionelle Affen- Vertreiber die Laute von Langurenaffen nachahmen, um so die frechen Rhesusaffen zu verscheuchen. Denn viele InderInnen verehren Affen als Reinkarnation des Affengottes Hanuman. Sie füttern die Affen ehrfurchtsvoll, wodurch die Affen immer selbstbewusster werden.
Ein weiterer Kandidat ist der preisgekrönte Spielfilm ‘Kumbalangi Nights’ von Madhu C. Narayanan (geplant Donnerstag, 0.00 Uhr, bis Freitag, 23.59 Uhr), eine echte indische Lovestory. Ein junger Mann kämpft um seine Traumfrau. Die Schwester der Angebeteten will diese Beziehung verhindern, denn seine Familie hat im Ort einen sehr schlechten Ruf. Ebenfalls im Wettbewerb: Der starke und sehr emotional inszenierte Spielfilm ‘Uyare’ von Manu Ashokan (Streaming geplant von Samstag 0.00 Uhr bis Sonntag, 23.59 Uhr), der von einer jungen traumatisierten Pilotin handelt, die einen Säureanschlag überlebt hat.
In ‘A holy conspiracy’ von Saibal Mitra (Streaming von Donnerstag, 0.00 Uhr, bis Sonntag, 23.59 Uhr) tobt in einem Gerichtssaal ein Glaubensstreit, der an einer christlichen Missionsschule in der Kleinstadt Hillolgunj entbrannt ist. Es geht um die biblische Schöpfungsgeschichte, Darwins Evolutionslehre und einen uralten vedischen Text, den die Hindi-Regierung im Lehrplan der christlichen Missionsschule verankern will. In der Spielfilm-Jury sitzen der deutsche Regisseur und Produzent Frieder Schlaich, der indische Filmemacher und LGBTQI-Aktivist Onir und Céline Loop, die Produzentin des Gewinnerfilms ‘Chippa’ (2019).
Stromdiebe und ein Münchner in Bollywood
In der Online-Version des Indischen Filmfestival Stuttgart hinterfragt Anandana Kapur in ihrem Dokumentarfilm ‘Aayi Gayi’ das Zitat: “Auf nationaler Ebene haben wir überschüssigen Strom. Die Stromversorgung ist also kein großes Problem. Aber das ganze Problem ist, wie man Strom verteilt.” Es geht
um Stromdiebe, die illegal Stromleitungen anzapfen und Menschen, die einfach nicht ihre Stromrechnungen bezahlen können. Die Dokumentarfilmerin will wissen, ob es ein soziales Recht auf Elektrizität gibt oder Strom eine Ware ist. Ganz anders ‘Patrick Goes to Bollywood’, in der sich der Münchner Filmemacher Patrick Ranz in der indischen Filmbranche um einen Job vor der Kamera bemüht.
Wiedersehen mit Publikumsliebling Geetanjali Thapa
Das Publikum darf sich in der Kategorie Shorts insgesamt auf einen klugen Mix aus brandaktuellen Themen freuen. So wird auch das von der Regierung Modi erlassene umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz angepackt, das die Kriterien festlegt, wer Inder werden darf. Muslime werden laut Einbürgerungsgesetz extrem diskriminiert. ‘Frayed Lines’ von Priya Belliappa mit Schauspielerin Geetanjali Thapa, dem IFFS- Publikumsliebling von 2018, spielt auf einer Kaffeeplantage in Kodagu, auf dem die Wanderarbeiterin Tabu nach einer 2.000 Meter langen Odyssee einen Job findet. Wie viele Menschen in Indien besitzt Tabu keine Geburtsurkunde. Nach dem neuen Gesetz ist für die junge Frau in dem 1,4 Milliarden-Volk kein Platz mehr. Was ist im Land der tausend Sprachen und Kulturen plötzlich los, fragt sich Regisseurin Priya Belliappa.
Im Kurzfilmprogramm erwartet die ZuschauerInnen ebenso der 26-Minüter ‘Wig’ von Atanu Mukherjee, der in die Welt der Hijras, Indiens drittes Geschlecht, führt. In Mumbai kreuzen sich die Wege einer alleinstehenden berufstätigen Frau und einer transsexuellen Sexarbeiterin. Es geht um Vorurteile gegen nicht verheiratete Frauen, die sich auf ihre berufliche Laufbahn konzentrieren und eine Minderheit im Schatten des indischen Mainstreams. Die Kamerafrau Pooja Gupte, die 2019 beim 16. IFFS eine Referentin der Masterclass ‘Making of Indian Cinema’ war, nahm den Kurzfilm ihres Ehemanns Atanu Mukherjee auf. Der Film wird in Kooperation mit dem Christopher Street Day Stuttgart gezeigt.
Filmisches Boxer-Denkmal für Tom Molineaux
Um Rassismus im Boxsport geht es in ‘The Bare Knuckle Gentlemen’ von Nishad Chaughule. Der Film setzt dem befreiten afroamerikanischen Sklaven und später gefeierten Profi-Boxer Tom Molineaux ein filmisches Denkmal. Molineaux lebte in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts in London und wurde erst 1997 in die International Boxing Hall of Fame aufgenommen.
Die Dynamik moderner Beziehungen thematisiert ‘3rd Stanza’ von Tarun Wadhwa. ‘Apna Apna Andaz’ von Avishkar Bhardwaj schildert die spannende Jagd nach einer Kinokarte, die Diebe einem jungen Cineasten gestohlen haben. ‘Don Jagatala Kavi’ von Swapnil Vasant stellt einen Poeten in zwei Welten vor. Ein klassischer Konflikt zwischen Vater und Sohn: Raja will Gedichte schreiben; doch er soll auf dem Feld seines Vaters arbeiten. Anui Rawras ‘Doorbeen Binocular’ begleitet zwei Straßenkinder auf ihrer Suche nach dem Glück. In ‘Gulabi Lens – La Vie En Rose’ beobachtet Saurabh Wakankar, wie ein junges Paar in seinem neuen Einzimmerhaus in Mumbai die wahre Liebe entdeckt. Für seinen Kurzfilm ‘Natkhat’ nahm Star-Produzent Shaan Vyas auf dem Regie-Stuhl Platz und engagierte für die Hauptrolle Leinwandliebling Vidya P. Balan, die 2006 zu den Top Ten der beliebtesten Bollywood-Schauspielerinnen gehörte. Balan spielt eine Mutter, die ihrem Sohn eine wertvolle Lektion gegen Frauenfeindlichkeit und das Patriarchat erteilt.
Jubiläum – zehn Jahre Filmwettbewerb ‘Short takes’
Ebenfalls im Programm zu sehen sind die drei Gewinner-Filme des 10. Short takes Wettbewerbs in Kooperation mit pocket films. Diesmal darf der Sieger wegen der Pandemie leider nicht
nach Stuttgart fliegen. Die Gewinner sind: ‘Noor’ von Kiran Nagdev (erster Preis), ‘Nazariya’ von Rishil (zweiter Preis) und ‘Saturday Nights’ von Shivadarshan Sable (dritter Preis). Saameer Modi von pocket films hat zudem für das Stuttgarter Kurzfilmprogramm unter dem Motto ‘Hoffnungsschimmer’ fünf Shorts kuratiert.
‘Good Morning Mumbai’ und ‘Tea Talks’
Neue Wege geht auch das Rahmenprogramm in der Online-Ausgabe: In einem ‘Tea Talk’ kommen ‘Fridays for Future’-Aktivisten aus Mumbai, Delhi und Stuttgart zu Wort. Der Corona-Lockdown gab in Delhi, der
dreckigsten Stadt der Welt, den Blick frei zum Himalaya und verwandelte die Filmmetropole Mumbai in eine autofreie Geisterstadt. Hat dieser harte Cut das Klimabewusstsein auf dem Subkontinent geändert? Aus Delhi zugeschaltet sein wird der 16-jährige Schüler Aman Sharma, aus Mumbai der 23-jährige Architekturstudent Maheshwar Khetan, aus Stuttgart ein Aktivist. Teilnehmen wird auch Elvira Greiner, die Vorsitzende der Hilfsorganisation ANDHERI-Hilfe, die neben Entwicklungsarbeit in Indien auch Klimaschutzprojekte verwirklicht.
Der gefragte indische Kameramann Paramvir Singh, der im Vorjahr in Stuttgart ein Referent der neuen Reihe ‘Making of Indian Cinema’ war, wird regelmäßig aus dem Festival-Studio in Mumbai berichten. So wird er im Corona-Hotspot eine besondere Armenspeisung besuchen. In der neuen Gesprächsreihe ‘Good Morning Mumbai’ kommen unter anderem der Hauptkorrespondent der Mediengruppe ‘Mumbai Mirror of the Times of India’, Chaitanya Marpakwar, Karuna Ganguly, die auch die indische Gemeinschaft in der Neckar-Alb-Region fördert, die freischaffende Journalistin Natalie Mayroth, der indische Filmschaffende Onir und die Schriftstellerin Sifra Lentin aus Mumbai zu Wort. In Grußbotschaften aus Indien sagen bisherige Filmgäste und langjährige Freunde des Stuttgarter Filmfestivals „Hallo“. Auch die indische Community in Stuttgart wird mit Videoclips vertreten sein, etwa die in Mumbai geborene Sängerin und Tänzerin Fauzia Maria Beg.
In weiteren ‘Tea Talks’ dokumentieren Inder mit ihren Handykameras, wie sie die Corona-Pandemie zuhause erleben. Alle loben die Initiative des Filmbüros Baden-Württemberg: Eine Online-Version sei ein Ausweg aus der weltweiten Starre im Kulturbetrieb. Dank des Filmfestivals in Stuttgart erreichen indische Filme nun ein großes Publikum.
Online-Kino mit Kasse, Shop und Kinosaal
Die Homepage www.indisches-filmfestival.de wird erstmals zum Online-Kino mit einem Foyer, in dem an einer Kasse ein preiswerter Festivalpass zu 4,99 Euro (all inclusive) und in einem Shop zum Beispiel indische Marionetten oder Festivaltaschen gekauft werden können. Hier sehen die UserInnen ebenso die kostenlosen Clips des Rahmenprogramms. Mittelpunkt des Filmtheaters auf der Homepage ist der digitale Kinosaal, in dem über Codes die Wunschfilme einmal angeschaut werden können. Der aktuelle Spielplan auf der Homepage verrät, wann welcher Film mit welchem Geoblocking zur Auswahl steht.
Fast zeitgleich legte die Corona-Pandemie Mitte März das öffentliche Leben in Stuttgart und seiner indischen Partnerstadt Mumbai lahm. Der Lockdown mit ungewissem Ausgang stellte das Festival-Team in der baden-württembergischen Landeshauptstadt vor neue Herausforderungen: Ganz absagen, verschieben oder Online? Das Filmbüro Baden-Württemberg, so stellt Festivalleiter Oliver Mahn klar, entschied sich für die digitale Variante. Erschwerend kommt dazu, dass Sponsorengelder ausfallen und Ticketeinnahmen aufgrund fehlender Erfahrungswerte nicht realistisch kalkuliert werden können. Die Stadt Stuttgart und das Land Baden-Württemberg unterstützen mit finanzieller Soforthilfe das 17. Indische Filmfestival Stuttgart.
„In unserem Online-Festival steckt viel Herzblut. Die ZuschauerInnen erwartet ein ganz besonderer virtueller Kinobesuch zu einem sensationell günstigen Preis und mit einem informativen, unterhaltsamen Rahmenprogramm“, verspricht Festivalleiter Oliver Mahn. Da die Filmfans keine physische Präsenz im realen Kino mehr benötigen, ist die Zielgruppe für das Indische Filmfestival Stuttgart jetzt weltweit.
“In dieser Herausforderung liegt eine große Chance, neue Wege zu gehen und andere Gruppen zu erreichen. Das Internet und die technischen Möglichkeiten, die heute zur Verfügung stehen, haben Kunst und Kultur eine Stimme gegeben, die ansonsten verstummt wäre“, gibt Festivalleiter Mahn zu bedenken.
Für die 18. Ausgabe von Europas größtem indischen Filmfestival im nächsten Jahr (21. bis 25. Juli 2021) erhoffen sich Mahn und sein Team jedoch wieder echte Festivalatmosphäre im festlich dekorierten Metropol Kino mit indischen Filmgästen auf dem Roten Teppich, Live-Auftritten und 5.000 begeisterten BesucherInnen. Aber vielleicht auch mit Elementen des Online-Festivals, die sich bewährt haben werden.
Zum Festival und alle Programminformationen geht es über https://iffo.indisches-festival.de bzw.
www.indisches-filmfestival.de